Mittwoch, 18. Oktober 2017

Auf der Westroute quer durch Kirgisien nach Shymkent 27.09. - 07.10.

Vom 27.09. - 07.10.2017



Mi. 27.09.

Heute am frühen Morgen frühstücke ich mit Katharina zum letzten Mal. Wir verabschieden uns, nachdem wir sechs Wochen gemeinsam unterwegs gewesen waren und viel zusammen erlebt hatten. Wir waren ein wirklich gutes Team.
 Stundenlang haben wir beide an diesem Radkarton gebastelt, weil  in ganz Osh kein Transportkarton für ihr Rad aufzutreiben   war.
 
 
Sie fährt mit dem Taxi zum Flughafen nördlich von Osh und ich verlasse am Vormittag ebenfalls das gute Tes Guesthouse, in dem wir uns richtig wohl gefühlt hatten.
 
GPS:  Tes Guesthouse:   40.52274   -72.8028
 
Das Tes Guesthouse ist ein Treffpunkt für Biker. Es ist möglich, im Garten preiswert zu zelten. Wir hingegen entschieden uns für ein sauberes Zimmer mit Bad und Dusche.
 
Schnell wird mir bewusst, wie sehr ich "meine" Katharina doch vermisse. Der Benzinkocher bleibt ab jetzt nahezu unberührt. Alleine zu essen, macht mir nur wenig Freude.
Hinzu kommt, dass ich auch noch Roland verpasse. Er hatte seinen Flug umgebucht und wollte nun erst kommenden Sonntag hier in Osh eintreffen. Er war davon ausgegangen, dass auch wir erst am Monatsanfang hier eintrudeln werden.
So lange aber will und kann ich nun nicht mehr warten. In einem einstündigen Telefonat erläutern wir die Situation. Roland zeigt Verständnis und beschließt, dennoch herzufliegen und ebenfalls alleine unterwegs zu sein.
Zudem ist ein Kaltlufteinbruch mit Niederschlag vorausgesagt. Hatten wir heute noch 25 Grad, so soll schon übermorgen das Thermometer bei rund 12 Grad hängen bleiben.
 
Angesichts dieser tristen Aussichten entscheide ich nun, eine sportliche Runde quer durch Kirgisien auf der Westroute über den Toktogul-See bis nach Shymkent zu radeln.
 
Und tatsächlich gelingt es mir in nur sieben Tagen 883 Kilometer zurückzulegen. In dieser Woche klettere ich mit dem Reiserad nochmals 7.500 Höhenmeter und stellte dabei einen neuen persönlichen Rekord auf. 2.350 Höhenmeter an einem Tag (30.09). Der bisherige Rekord lag bei 1.600 Höhenmeter in Südamerika.
 
Zunächst muss ich am Mittwoch eine Landzunge Usbekistans umfahren, da ich für diesen Staat kein Visum habe. Dieser rund 50 Kilometer lange Umweg führt mich auf stark befahrener Straße über Ösgön nach Dschalalabat.
 
 
 
Beiderseits der Straße werden die ebenen Flächen intensiv landwirtschaftlich genutzt. Unterwegs kaufe ich am Straßenrand ein Kilogramm frische Erdbeeren für umgerechnet 50 Cent.
 
Aktuell ist Baumwollernte
 
 
 
Auch das Obst- und Gemüseangebot zu dieser Jahreszeit ist enorm. Erdbeeren, Äpfel, Melonen, Kürbisse, Kartoffeln, Paprika, Mais...
 

 
... und Walnüsse so weit das Auge reicht.
 
 
 
Die Stundenlöhne sind gering. Und so werden die Nüsse geöffnet und für den Export vorbereitet.
 
Da es derzeit schon gegen 19:30 Uhr dunkel wird,  suche ich mir links der Straße vor dem Ort Susak einen nicht einsehbaren Platz zum übernachten.
 
GPS:  40.92383     - 72.8790
 
Km heute:                      108          gesamt:   1.704
Höhenmeter:                  700          gesamt:  14.950
 
 
Do. 28.09.  
 
6:30 Uhr wird es hell. 45 Min. später trete ich schon in die Pedale. Immer entlang der verkehrsreichen M41  in westlicher Richtung. Auch heute ist die Landschaft eher langweilig. Landwirtschaftliche Flächen und Ortschaften im Wechsel. Erst als die Straße dauerhaft nach Norden Richtung Toktogul-See abbiegt, folge ich über weite Strecken einem Stausee und gelange ins Gebirge.
 
 
 
 Das Wetter wird schlechter. Rechts der Straße entdecke ich abends leerstehende, gemauerte Stallungen, wo ich vor dem böigen Wind Schutz suche.
 
 
 
Im windgeschützten Eingangsbereich wird Kaffee gekocht und gefrühstückt, nachdem es während der Nacht erstmals in Kirgisien geregnet hatte.


                                                 

 
 
GPS:   41.5202    -72.4622  
 
Km heute:                  151            gesamt:     1.855
Höhenmeter heute:    900           gesamt:  15.850
 
 
 
Am kommenden Morgen schnell noch die Haare an diesem eingefassten Wasserlauf gewaschen und weiter geht es nach Norden zum Toktogul-See.
 
 
Fr. 29.09.
 
Im nächsten Ort suche ich die erstbeste Wirtschaft auf und mache den Angestellten mittels meinem Bildwörterbuch verständlich, dass der Radfahrer hungrig ist.  Wenig später erhalte ich wie gewünscht drei Spiegeleier, ein Fladenbrot und zwei große Tassen Kaffee für umgerechnet 1,50 Euro. Ein zweites Frühstück kann nie schaden.
Die heutige Etappe ist eine wahre Hügelfahrt - bergauf, bergab, bergauf, bergab  - bis schließlich der riesige Toktogul - See in Sichtweite ist.
 

 
Am Nordende des Sees - rund 20 Kilometer östlich des Ortes Toktogul - stelle ich kurz vor Sonnenuntergang das Zelt auf einer Wiese am See auf.
 
GPS:  41.8413     - 73.1317
 
Km heute:                 122       gesamt:    1.977
Höhenmeter heue:  1.500      gesamt:   17.350
 
 
 Während der Nacht erneut Dauerregen und als ich am kommenden Morgen aus dem Zelt schaue, sind die Berge ringsum tief verschneit. Schneegrenze morgens um die 1.500 Meter.
 
Sa. 30.09.
 
Für mich bedeutet das heute einen Ausflug in den Winter, muss ich doch bei der Weiterfahrt auf der M41 heute und morgen über zwei kurz nacheinander folgende Pässe. 3.177 m und 3.326 m hoch.
Da die Talsohle zwischen den Pässen auf 2.600 Meter liegt, werde ich am heutigen Abend mein Zelt im Schnee aufbauen müssen. Das ist mir klar, als ich am Morgen starte.
 
 
Zunächst überhole ich unten im Tal die inzwischen lange Kolonne an Lkws, für die hier vorerst Schluss der Reise ist - der Pass ist für die Brummis gesperrt.
 
 
Erst am Nachmittag werde ich von den ersten Lkws überholt
 

 
 
 
Gegen 18 Uhr - die Sonne ist schon verschwunden - erreiche ich die Passhöhe auf 3.177 m  . Es ist lausig kalt. Trotzdem radle ich noch hinunter auf 2.860 m  und schlage dort mein Zelt hinter einer Mauer im Schnee auf.
 
 
 
 



 
 
Da ich während der Abfahrt doch etwas ausgekühlt bin, schlafe ich während der Nacht in voller Montur - aber warm ist anders.
 
 
 GPS:    42.2089       - 73.1548
 
Km heute:                   94              Km gesamt:        2071
Höhenmeter heute: 2.350             Höhenmeter gesamt: 19.700     
 
    
So. 01.10.  
 
Während Roland heute Osh mit dem Flieger erreicht, habe ich eine denkwürdige Nacht hinter mir. 
 
Morgens zeigt das Thermometer frostige minus 12 Grad an. Die Nacht war sternenklar. Der Schneeboden tat sein Übriges.
 
Über Nacht sind bei Bedingungen wie in einer Tiefkühltruhe meine 1,5 Liter Wasserflaschen am Rad und in den Packtaschen restlos durchgefroren.
 
Ich habe Mühe, mein Zelt abzuschlagen, sind doch die einzelnen Alu-Segmente des Gestänges zusammengefroren. Auch die  Erdnägel sind fest mit dem vereisten Untergrund verbunden.
Macht richtig Spaß heute morgen.
Als ich den Kampf gegen mein störrisches Zelt endlich gewonnen habe, radle ich nicht etwa hinab ins Tal, sondern zunächst etwa einen Kilometer bergauf. Dort oben scheint nämlich schon die Sonne.  Und ich sauge förmlich jeden dieser Sonnenstrahlen in mich auf, als ich endlich aus dem Schatten der Berge trete.
 
Hätte ich aber geahnt, dass unten in der Talsohle auf 2.600 m ein Gasthaus steht, wäre ich gestern Abend bei Dunkelheit die fehlenden zehn Kilometer noch hinabgefahren.
Dort wärme ich mich heute Vormittag auf, frühstücke und trinke mehrere große Tassen heißen Nescáfe - anderen Kaffee bekommst du in ganz Zentralasien nicht angeboten.
 
Dann kommt für mich die letzte anstrengende Passfahrt der Tour -
hoch auf den 3.326 m hohen Otmok Pass.
 
 
 
Ich habe Glück  - Die Sonne scheint und es ist gegen Mittag absolut windstill.
 
Welch` ein Unterschied zur letzten Nacht. Am Abend erreiche ich den Ort Talas. Dort beziehe ich in einem netten Hotel mitten in der Stadt ein sauberes, warmes Zimmer mit Bad und Dusche für 13 Euro. Wellness pur nennt man das. Nur das WLAN funktioniert nicht.
 
GPS:  42.5205       - 72.2469       Ort: Talas
 
km heute:                     114              km-gesamt:  2.185
Höhenmeter heute:      900              Höhenmeter gesamt: 20.600
 
 
Mo. 02.10.
 
Kirgisien überzeugt mich landschaftlich auch heute nicht. Die Berge sind im Gegensatz zu Tadschikistan häufig mit Gras bewachsen - oft etwas lieblich anzusehen. Gerundete Bergkuppen.
Aber das Gras ist im Hochsommer und Herbst braun. Inzwischen fehlt mir das Grün, das wir in Mitteleuropa gewohnt sind.
Stattdessen tristes Braun und viel Staub.
Nachmittags setzt Regen ein. Erstmals seit Tourbeginn radle ich für knapp zwei Stunden im Regen. Macht aber nichts: Wozu habe ich Regenjacke, Regenhose und wasserdichte Überschuhe ?
 
Dann kommt am Nachmittag die kasachische Grenze in Sicht. Der erste Grenzbeamte krallt sich meinen Pass und will ihn mir erst zurückgeben, wenn er eine Runde mit meinem Rad fahren darf.
Ich versuche ihm klarzumachen, dass mein Rad eine außergewöhnliche Schaltung hat, die nicht ohne weiteres zu handhaben ist. Ich muss ihn mehrmals auffordern und erst als ich ungeduldig und hörbar laut werde, bekomme ich meinen Pass zurück. So etwas habe ich bislang an noch keiner Grenze erlebt.
Sind wir hier im Kindergarten ?
 
Die eigentlichen Grenzkontrollen - das Ausfüllen eines Dokumentes, die Passkontrolle und das obligatorische Lichtbild - verlaufen reibungslos. Meine Packtaschen werden nicht geöffnet und so bin ich nach dreißig Minuten auf kasachischem Boden. Schnell noch die kirgisischen Som in Tenge getauscht und schon bin ich auf dem Weg nach Shymkent.
Zunächst will ich in der nur 20 Kilometer entfernten Stadt  Talas übernachten, doch dann packt mich  der Ehrgeiz und ich lege pedaltechnisch noch eine Schippe drauf. Nach Talas radle ich auf der zweispurigen, wenig befahrenen Autobahn Richtung Shymkent.
Erst mit Einbruch der Dunkelheit suche ich mir rechts der Autobahn hinter einem Parkplatz einen nicht einsehbaren Übernachtungsplatz für mein Zelt.
 
 
 
GPS:  42.7490         - 71.0103   (Rechts neben der Autobahn)
 
Km-heute:                 146                  Km-gesamt:   2.331
Höhenmeter heute:    400                  Höhenmeter gesamt: 21.000
 
 
Di. 03.10. 
 
Da heute noch knapp 150 Kilometer vor mir liegen, starte ich morgens bei Dunkelheit um 6:30 Uhr. Die Stirnlampe auf dem Kopf -  nach hinten weisend - blinkt.
Doch Verkehr ist kaum - dafür böiger Gegenwind. Erstmals seit Beginn unserer Reise in Dushanbe. Bislang hatten wir zumeist einen angenehmen Rückenwind.
 
Die Landschaft hier ist öde. Hügeliges Gelände und Grasland, soweit das Auge reicht.  Nur entlang der Autobahn gibt es gelegentlich Windschutzstreifen. Baumreihen, die vor den unberechenbaren Winden schützen sollen. Trotzdem habe ich heute meine Mühe und Not. Erst nach genau 11 Radelstunden in Bewegung erreiche ich mein Hostel im Zentrum von Shymkent.
Hier war ich auch schon im vergangenen Jahr abgestiegen.
 
GPS: 42.3144       - 69.6100  Shymhostel   ( 8 Euro / Nacht )
 
Km - heute:              148                           Km gesamt:  2.479
Höhenmeter heute:  750             Höhenmeter gesamt: 21.750
 
 
Mi. 04.10. bis Sa. 07. 10.
 
In den letzten drei Tagen erhole ich mich hier  etwas. Gehe gut essen, schlendere durch die Stadt und über den Basar.
Das Hostel strahlt eine familiäre Atmosphäre aus. Nette Vermieter.
Saubere Räume und ein sauberes Bad. In meinem Sechsbettzimmer habe ich nur zwei Zimmergenossen - einen jungen Australier und einen netten Russen, mit denen ich mich auf Anhieb gut verstehe.
Abends sitzen wir zusammen und trinken Rotwein und Bier. Tagsüber bin ich häufiger mal in der Küche und mache mir einen Kaffee.
 
Da ich dieses Jahr leider keinen Radkarton auftreiben kann, besorge ich mir 20 Meter Thermo-Folie und schütze so mein Rad vor Schäden beim Transport während dem Heimflug.
 
 





Während eines Zwischenstopps in Astana, kann ich zusehen, wie mein Fahrrad aus dem Flieger ausgeladen wird. 
 
Letztendlich fahre ich donnerstags mit dem Taxi zu Flughafen von Shymkent und buche um auf Samstag, den 07.Oktober.
 
Das kostet mich zwar 40 Euro, aber dafür kann ich gut eine Woche früher nach Hause.  Der Flug selbst Shymkent - Astana - Frankfurt kostet 400 Euro plus 35 Euro für das Rad.
 
Damit geht für mich eine tolle Radreise zu Ende. Eine Reise, die mir unvergessen bleiben wird.
 
Nicht nur wegen der facettenreichen Landschaft im Bereich des Pamirs und des Wakhans entlang der afghanischen Grenze oder wegen der unglaublichen Freundlichkeit der dort wohnenden Menschen.
 
Ich bringe viele faszinierende Bilder und nachhaltig wirkende Eindrücke mit nach Hause. Auch solche, die mich sehr nachdenklich werden lassen.
 
Ich lerne auf jeder Radtour dazu. Mache dabei  Erfahrungen im Umgang mit anderen Menschen.
Erfahrungen,  die mich prägen und mein eigenes Leben beeinflussen und mitgestalten.
Das ist mir gerade auf dieser Reise in eine andere Welt im besonderen Maße wieder bewusst geworden.